1 Stunde Taxifahrt für Fehlerbehebung

So was kann passieren, wenn man absoluter Spezialist ist

Der Telefonanruf kam an einem Vormittag im Herbst 1970 und ich wurde abrupt aus meinem neuen Hausfrauendasein geholt. Mein ehemaliger Chef der IBM Zürich schlug Alarm. Die ganze Debitoren-Buchhaltung vom HO Zürich war lahmgelegt. Sie brauchten dringend Hilfe. Die von mir geschriebene Dialog-Applikation stürzte nach ca. 4 Monaten problemloser Laufzeit einfach ab. So wie mir am Telefon gesagt wurde, konnten weder mein Kollege, der die Anwendung betreuen musste noch der Systemprogrammierer, der eigentlich das Innenleben der IBM 360 speziell gut kannte den Fehler in einem von mehreren Dutzend Modulen finden. Die neuen Programme wurden ja nur noch in der ach so guten PL/1 Sprache entwickelt. Vom Assembler hatte mit Ausnahme des Systemprogrammierers niemand mehr Erfahrung.

Die Frage am Telefon war eigentlich ganz kurz: „Sind sie zu Hause abkömmlich und können sie so schnell wie möglich nach Zürich Altstetten kommen?“ Meine Antwort kam ebenso prompt:“ Es würde mir Freude machen zu helfen, wenn da nicht ein grosses Problem wäre. Ich versuchte zu erklären, dass ich mit dem ÖV für den Weg dorthin mindestens 3 Stunden benötige, und der nächste Bus von Rieden SG nach Rapperswil aber erst wieder am Nachmittag fahre. Da gab’s halt nur Personen- oder Schnellzüge nicht wie heute S-Bahn, Regio-Express usw. Wie war ich erstaunt über das was ich jetzt hörte: „Kein Problem! In einer Stunde wird ein Taxi bei ihnen vorfahren und es wird sie zu uns bringen.“

War das eine Aufregung. Jetzt musste ich zuerst meinen Mann, der als Primarlehrer im Dorf arbeitete, informieren, dass die Zutaten für das Mittagessen in der Küche stehen. Dann musste ich mich entsprechend dem IBM-Dresscode umziehen und die für uns Frauen so wichtige Handtasche packen. Zum Glück stand ich nach einer Stunde auf dem Vorplatz des Hauses bereit. Die Taxifahrt konnte ich wirklich geniessen: zuerst die kurvenreiche Strasse nach Rapperswil und dann dem Zürichsee entlang via Meilen, Zollikon, Stadelhofen durch die Stadt zum Bahnhof Zürich Altstetten, wo das benötigte System 360 des IBM Ausbildungszentrum stand.

Kaum angekommen und Handtasche sowie Jacke weggelegt, fühlte ich mich ins frühere Programmierer-Dasein zurückgeworfen. Es war wie immer: Dump (Speicherauszug) analysieren, Fehlersuche, beim Operator die Programmliste des fehlerhaften Moduls anfordern, Korrektur mit Bleistift in die Programmliste eintragen, ab zum immer bereitstehenden Locher im Maschinenraum und die Korrekturen lochen. Der Operator kann dank den Folge-Nummern die geänderten Karten im den Kartenstapel mit dem Quellcode einordnen, die Umwandlung durchführen und das neue Lademodul zum Einlesen geben. Das war für mich auch relativ neu, denn erst mit dem System 360 war die Multitasking-Technik möglich, d.h. die andern Applikationen liefen trotz eines Programmabsturzes munter weiter.

Jetzt kam aber der spannendste Moment des ganzen Aufwandes. Der Operator musste die Eingabebefehle für das Starten der korrigierten Dialog-Applikation an der Operatorkonsole eingeben, und wir alle hofften, dass meine Korrektur auch ohne Testmöglichkeit richtig war. Die Buchaltungs-Abteilung wurde per Telefon gebeten, bitte mal einen normalen Dialog zu machen; es klappte auf Anhieb. Dann musste ein Buchhalter diese spezielle Dialogeingabe versuchen, die den Absturz ausgelöst hatte. Ein Jubelschrei kam durch den Telefonhörer: „Alles OK! Die Eingaben gehen wieder ganz normal.“

Für mich war es zum Glück ein einfach zu behebender Fehler aber typisch für damals – wahrscheinlich ist es auch jetzt noch so. Eine ganz spezielle Situation an die niemand bei der Programm-Vorgabe und auch nicht beim Testen gedacht hatte, kann irgendwann nach kurzer Zeit oder eben erst nach einigen Monaten auftreten. Nun war ja alles in Ordnung! Aber beim Wegfahren von zu Hause hatte ich überhaupt nicht mehr an den Heimweg gedacht. Da durfte ich das hilfreiche Angebot meines Kollegen annehmen, der mich am Abend mit seinem Auto nach Rieden fuhr. Die Kosten für die Fahrt konnte er selbstverständlich auf die nächste Spesenabrechnung nehmen, aber sein Feierabend war dennoch erst zwei Stunden später als gedacht.

Zum Glück hiess es diesmal für mich:
„Unverkofft kommt (nicht so) oft .